Ortwin
Rosner
In
der Grotte
Langsamen,
schweren Schrittes bewegte ich mich durch die Grotte. Der Boden unter mir war
schlammig, und rundherum war es vollkommen dunkel. Ich konnte nicht das
geringste sehen, ich war in vollkommener Finsternis. In vollkommener Blindheit
bewegte ich mich vorwärts. Ich hörte keine Stimmen. Man hörte hier gar keine
Geräusche, es war vollkommen still, ich bewegte mich in einer vollkommenen
Stille. Kein Mensch war da, und außer mir war wohl auch gar keiner jemals hier
gewesen. Die Konturen von Felsformationen wurden manchmal erfühlbar, doch
verschwanden sie bald wieder in ewiger Nacht und Finsternis. Dann fuhr ich mit
der Hand nur mehr ins Leere. Ich sah absolut nichts. Ich bemerkte kaum, daß
irgendetwas existierte. Wenn nicht die Bewegung meiner Füße gewesen wäre, ich
hätte nicht bemerkt, daß ich mich vorwärts bewege. Aber irgendwo mußte doch
ein Ende des Weges sein. Aber wollte ich überhaupt hier heraus? Und ‑ war
herauszukommen und das hier zu beenden nicht gleichbedeutend mit Sterben? Und
was konnte draußen schon sein? Etwas Fremdes, jedenfalls nichts Bekanntes,
Vertrautes, nicht ich. Seit ich denken konnte, war ich hier gewesen. Hier lebte
ich in vollkommener Harmonie mit mir. wie sollte es nun auf einmal anders sein?
Selbst wenn ich diesen Ort verlassen würde, müßte mein eigentliches Ich ja
doch hier bleiben, verstoßen und alleine. Da!
Da sah ich auf einmal ein Licht am Horizont. Es blendete, es war schrecklich und
fremd. Ich floh tiefer in die Höhle zurück, ich hatte einen Fehler gemacht,
hatte mich zu sehr vorgewagt. Andererseits sehnte ich mich dann doch nach diesem
Licht. Ich begann mich zwischen diesen beiden hin und her zu bewegen, zwischen
Licht und Finsternis. Ich war neugierig, ich machte ein paar Schritte vor, da
nahm ich schwach das Licht wahr, ich bekam Angst, ich machte wieder ein paar
Schritte zurück in die tiefe Finsternis. Wo wollte ich eigentlich sein? Im
Licht oder in der Finsternis? Das war mir nun nicht recht klar. Ach, ich wünschte,
ich hätte nie das Licht gesehen, denn vorher hatte ich noch mit mir in einem
Gleichgewicht gelebt, nun aber hatte mich das Wünschen ergriffen, und das Wünschen
ist die Todsünde der Menschheit. Nun kam es drauf an, wie ich mich entschied.
So schwankte ich hin und her zwischen Licht und Schatten, stundenlang. Schließlich
schrie ich um Hilfe. Aber niemand war da. Ich beschloß, mich wieder in die
unendliche Finsternis zurückzubegeben, zurück in meine Heimat. Aber siehe da:
es ging nicht mehr. Denn ich ging zurück in die Höhle, zurück und zurück,
und doch wurde es nie mehr so vollständig und beruhigend dunkel für mich, wie
es einmal gewesen war. Immer war es, als ob da ein ganz matter Lichtschein
mitkam. So hatte ich meine Dunkelheit, meine über alles geliebte Dunkelheit
verloren. Ich würde sie nie wiederfinden. Es blieb mir nur die andere Möglichkeit
offen. Zurück zum Licht. Doch ich irrte umher und umher, und fand es doch nicht
mehr. Es war wohl von Anfang an nur eine Täuschung gewesen. Ebenso wie die
Finsternis.
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